Antrag: Gemeinsam statt Einsam: Gemeinschaft stärken – landesweite Strategie gegen Einsamkeit entwickeln
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen
Einsamkeit ist in den vergangenen Jahren zu einem immer präsenteren gesellschaftlichen Problem geworden, das nicht nur individuelle, sondern auch weitreichende Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bevölkerung hat. Verschiedene Studien und Umfragen legen nahe, dass mittlerweile eine signifikante Anzahl von Menschen von dem Gefühl der Einsamkeit betroffen ist. So zeigen Ergebnisse des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)[1], der größten multidisziplinären Langzeitstudie in Deutschland, dass in den Jahren 2013 und 2017 ungefähr 14 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen zumindest gelegentlich Einsamkeit erlebten. Insbesondere während der Corona-Pandemie wiesen verschiedene Untersuchungen auf einen erheblichen Anstieg von Einsamkeitsgefühlen in der Bevölkerung hin. Im Jahr 2021 gaben rund 42 Prozent der Befragten an, sich einsam zu fühlen. Wie sich die Zahlen langfristig nach der Pandemie entwickeln, bleibt abzuwarten.
Einsamkeit wird als die empfundene Diskrepanz zwischen den gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen beschrieben. Sie hängt von den subjektiven Erwartungen des Einzelnen ab, die je nach Lebenssituation variieren. Die Ursachen für Einsamkeit sind komplex und vielschichtig, und es existieren keine einfachen Lösungen, um ihr entgegenzuwirken.
Gesellschaftliche Veränderungen wie demografischer Wandel, Individualisierung, Mobilität im Privat- und Berufsleben, Digitalisierung und Ereignisse wie die Corona-Pandemie können gemeinsam mit individuellen Faktoren starke Auswirkungen auf Einsamkeit haben. Menschen jeden Alters können davon betroffen sein, insbesondere jedoch Personen in Übergangssituationen wie dem Einstieg in Ausbildung, Studium, Beruf oder Rente.
Einsamkeit an sich ist zwar keine Krankheit, aber dauerhaftes Alleinsein kann erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Psychische Leiden wie Depressionen und Angststörungen, aber auch körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Probleme oder Demenz können die Folgen sein.
Das Land Niedersachsen hat bereits verschiedene Maßnahmen und Unterstützungsangebote ergriffen, um dem Thema Einsamkeit entgegenzuwirken. Beispiele hierfür sind Freiwilligenagenturen, Selbsthilfekontakt- und Beratungsstellen, Senioren- und Pflegestützpunkte sowie Förderbausteine des Aktionsprogramms "Startklar in die Zukunft", das Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie unterstützt.
Um der zunehmenden gesellschaftlichen Relevanz des Themas auch weiterhin angemessen zu begegnen, bittet der Landtag die Landesregierung:
Entschließung
- Bestehende Maßnahmen zur Einsamkeitsbekämpfung auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zu evaluieren, um deren Wirksamkeit zu überprüfen und mögliche Verbesserungen zu identifizieren.
- Soweit erforderlich neue Konzepte und Ansätze zu entwickeln, die darauf abzielen, soziale Verbindungen zu stärken und das Bewusstsein für das Thema Einsamkeit zu schärfen.
- Die bundesweiten Kompetenz- und Forschungsnetzwerke zu Ursachen und Auswirkungen von Einsamkeit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen weiterhin zu unterstützen, eine breite Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu befördern und die Ergebnisse breit zugänglich zu machen.
- Alle bestehenden und neu erarbeiteten Maßnahmen und Unterstützungsangebote in einer Gesamtstrategie zusammenzuführen, die eine effektive, koordinierte und nachhaltige Einsamkeitsbekämpfung ermöglicht sowie
- in diesem Zusammenhang zu prüfen, inwiefern zielgruppengerechte Maßnahmen zur Einsamkeitsprävention und -intervention von Seiten des Landes ausgebaut bzw. gestärkt werden können.
- Das Thema Einsamkeit darüber hinaus auch bei der Entwicklung der von der Enquetekommission „Ehrenamt“ vorgeschlagenen Ehrenamtsstrategie zu berücksichtigen, um von Einsamkeit betroffenen Menschen Wege ins freiwillige Engagement aufzeigen.
Begründung
Die niedersächsische Landesregierung hat bereits zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung der Einsamkeit ergriffen, indem sie konkrete Angebote für die Bürger bereitstellt. Im letzten Jahr wurden beispielsweise 69 Freiwilligenagenturen und 41 Selbsthilfekontakt- und Beratungsstellen mit Landesmitteln unterstützt. Diese Initiativen bieten den Menschen die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und sich mit anderen auszutauschen, die ähnliche Herausforderungen oder Schicksale erleben.
In den Senioren- und Pflegestützpunkten in Niedersachsen wird Senioren- und Pflegeberatung angeboten. Ein zunehmendes Beratungsthema in vielen, aber nicht in allen Senioren- und Pflegestützpunkten in Niedersachsen ist das Thema Einsamkeit. Durch die Seniorenbegleitung im Qualifizierungsprogramm DUO bieten viele Ehrenamtliche durch den Besuch älterer Menschen einen Weg gegen Einsamkeit an.
Darüber hinaus hat die niedersächsische Landesregierung mit dem Aktionsprogramm “Startklar in die Zukunft” Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie durch verschiedene Fördermaßnahmen unterstützt.
Im November 2022 startete außerdem das Bundesfamilienministerium eine Sensibilisierungskampagne zum Thema Einsamkeit, die sowohl Menschen mit Erfahrungen von Einsamkeit als auch ihr Umfeld anspricht. Die Kampagne bietet sowohl analoge als auch digitale Angebote, um das Bewusstsein für das Thema Einsamkeit zu schärfen und über entsprechende Hilfsangebote zu informieren.
Seit Oktober 2022 gibt es das vom Bund aufgelegte ESF Plus-Programm zur Stärkung der Teilhabe älterer Menschen. Bis September 2027 werden fast 80 Projekte mit innovativen sozialen Angeboten gefördert. Das Programm richtet sich hauptsächlich an ältere Arbeitnehmer ab 60 Jahren, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden.
Die bestehenden Maßnahmen sollen evaluiert und um weitere wissenschaftliche Ansätze zum Thema Einsamkeit ergänzt werden. In diesem Zusammenhang soll die Forschung im Bereich der Grundlagen- und anwendungsorientierten Einsamkeitsforschung gefördert werden.
Die Ergebnisse sollen in einer landesweiten Strategie gegen Einsamkeit zusammengeführt werden.
Besonders vulnerable Gruppen sind Alleinlebende, Alleinerziehende, Singles, pflegende Angehörige, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit gesundheitlichen Problemen, Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Menschen mit niedriger Bildung oder Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten. Aus diesem Grund soll die Landesstrategie zielgruppengerechte Maßnahmen zur Einsamkeitsprävention und -intervention aufnehmen.
Aufklärung und Information sollen in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, im Pflege- und Gesundheitssektor und am Arbeitsplatz die Aufmerksamkeit für das Thema Einsamkeit erhöhen.
Die wirksamste Einsamkeitsprävention und -intervention geschieht vor Ort in den Kommunen. Vielfach haben die Kommunen bereits Maßnahmen ergriffen, um die Gemeinschaft zu stärken. Besonders die sozialraumorientierte Quartiersarbeit erweist sich als vielversprechend. Die positiven Beispiele sollen als Best-Practice-Beispiele in die Einsamkeitsstrategie aufgenommen werden.
Das Ehrenamt ermöglicht durch den Aufbau von Netzwerken und Gemeinschaftsgefühl zudem die soziale Integration von Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind. Freiwilliges Engagement bietet sinnstiftende Tätigkeiten, die das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität der Beteiligten verbessern können. Außerdem ermöglichen ehrenamtliche Aktivitäten den von Einsamkeit betroffenen Menschen, aktive Rollen in der Gesellschaft zu übernehmen, was zu einer Stärkung ihres Selbstbewusstseins beitragen kann. Daher sollten der Themenkomplex Einsamkeit und von Einsamkeit betroffene Menschen als Zielgruppe dieser Strategie auch bei der Umsetzung der Ehrenamtsstrategie berücksichtigt werden.