Christian Schroeder: Rede zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel (Aktuelle Stunde GRÜNE)
Rede TOP 16b: Gentechnisch veränderte Lebensmittel weiterhin konsequent kennzeichnen – Wahlfreiheit für Verbraucher*innen erhalten (Akt. Std. Grüne)
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
in den letzten Wochen hat man sich in Brüssel und Straßburg mit der Deregulierung der sogenannten Neuen Gentechnik beschäftigt. Gestern wurde nun im EU-Parlament ein Beschluss gefasst, der weitreichende Folgen, auch für uns Verbraucher*Innen und Landwirt*Innen hier in Niedersachsen hat.
Welche Folgen sind das?
Künftig sollen mittels Neuer Gentechnik geschaffene Pflanzen, als Kategorie 1-Pflanzen zählen, wenn denn diese Veränderung auch durch konventionelle Züchtung hätte entstehen können und bis zu 20 Veränderungen umfassen.
Das sind laut aktueller Studie 94 Prozent der entwickelten Pflanzen.
Was mich besonders empört, das ist die Ignoranz der grundlegenden Prinzipien der Europäischen Union im Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen:
Das Vorsorgeprinzip? Außer Kraft gesetzt!
Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung? Außer Kraft gesetzt!
Die Risikoprüfung? Die Verursacherhaftung? Außer Kraft gesetzt!
Das Catagena-Protokoll? Wird durch diesen Beschluss faktisch ignoriert!
Ich könnte hier noch viele weitere Punkte aufzählen, aber dafür reicht die Zeit nicht. Einen Aspekt möchte ich allerdings noch einmal detailliertere hervorheben:
Die Vermischung von Neuer Gentechnik- und konventionell angebauten Nutzpflanzen.
Der aktuelle EU-Beschluss lässt das sehr reale Problem der Kontamination völlig außer acht!
Wie soll denn die Kontamination von konventionellen, oder Bio-Anbauflächen durch neue gentechnisch veränderte (NGT)-Pflanzen effektiv verhindert werden?
Eine Co-Existenz der Anbauarten und die beschworene Wahlfreiheit der Landwirt*innen, das funktioniert in der Realität nicht.
Wer haftet, wenn es zu Verunreinigungen durch NGT-Pflanzen kommt?
Den Öko-Landbau trifft es dabei sogar noch härter: Wie Ihnen bekannt ist, meine Damen und Herren, ist die Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen, gleich welcher Art, in der ökologischen Landwirtschaft kategorisch ausgeschlossen. Das heißt, stand jetzt, dass Bio-Landwirt*innen bei NGT-Verunreinigungen auf Ihren Ernteausfällen sitzen bleiben werden.
Ein finanzielles Risiko, dass sicherlich die wenigsten riskieren werden!
Was machen Gentechnikfreie-Regionen jetzt?
Das alles bringt mich zu dem Schluss, dass wir eine Neuordnung für den Ökolandbau in Niedersachsen und Deutschland brauchen werden. Und das unfreiwillig!
Die landwirtschaftlichen Regionen, die bisher gentechnikfrei waren, werden zukünftig durch die neuen NGT-Pflanzen „zwangsbeglückt”. Eine Opt-Out-Regelung für Landwirt*innen oder Verbraucher*innen gibt es in der aktuellen Fassung nicht mehr.
Nun können wir uns natürlich hinstellen und sagen:
Das sind alles Probleme und Bedenken, die noch besprochen werden müssen. Das werden wir Regelungen finden.
Ja!
Befragen wir doch einmal die Menschen im Land und berücksichtigen ihren Willen! Hier sind ein paar Zahlen aus einer repräsentativen Befragung des Münchner Umweltinstituts:
84 Prozent halten die Kennzeichnung von NGT-Pflanzen im Lebensmitteleinzelhandel für wichtig oder sehr wichtig.
84 Prozent wollen, dass Produkte von gentechnisch veränderten Tieren, oder Tieren die mit modifizierten Futterpflanzen ernährt wurden, gekennzeichnet werden.
83 Prozent der Befragten in Deutschland halten die umfangreiche Risikoprüfung von neu entwickelten NGT-Nutzpflanzen für wichtig oder sehr wichtig.
83 Prozent der Befragten befürworten ein generelles Verbot von gentechnisch veränderten Nutztieren.
60 Prozent aller Menschen möchten den Anbau von NGT-Pflanzen gar nicht erst erlauben.
Neuere Zahlen von Foodwatch vom letzten September sind sogar noch eindeutiger:
96 Prozent der Befragten halten die umfangreiche Risikoprüfung von neu entwickelten NGT-Nutzpflanzen für zwingend geboten.
90 Prozent halten die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln (nicht bloß Pflanzen) im Lebensmittelhandel für wichtig, unabhängig davon, welche Methode bei der Veränderung zum Einsatz kam.
Das sind, meine Damen und Herren, recht eindeutige Zahlen. Und; der Großteil der Europäer insgesamt lehnt die Nutzung von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft ab, sowohl bei Pflanzen, wie auch bei Tieren.
Machen wir ein Gedankenexperiment
Nehmen wir einmal an, man lässt die berechtigten Wünsche und Bedenken der Menschen außer acht. Dann bleibt natürlich noch der Blick auf Vor- und Nachteile der Schönen Neuen Gentechnik. Das wäre dann vielleicht mal eine weitere Aktuelle Stunde wert, ebenso wie die Diskussion um ungeklärte Frage nach Patenten.
Erst gestern wurde uns erneut ein Forderungspapier, bei den Protesten hier draußen überreicht, das sich aus bäuerlicher Sicht klar gegen Gentechnik ausspricht.
Wir haben den Eindruck, dass die Liberalisierung der Gentechnik vor allem den großen Saatgutherstellern und Chemiekonzernen nutzen wird. Dabei haben die Prosteste der letzten Monate doch gezeigt, dass wir eine Landwirtschaft brauchen, die Abhängigkeiten verringert und die Landwirt*innen in den Mittelpunkt der Politik stellt.
Es geht uns um die Wahlfreiheit. Diese ist mit dem Beschluss des EU-Parlamentes nicht mehr gegeben.
Jetzt kommt es auf den Rat der EU an. Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit der neuen Gentechniken müssen sichergestellt werden und die vielen, offenen Fragen zeitnah beantwortet werden.
Egal, ob Sie nun Befürworter*innen der Neuen Gentechniken sind, oder Skeptiker*innen, in seiner jetzigen Form nimmt der Beschluss den Menschen die Wahlfreiheit und löst keine Probleme. Der Beschluss in seiner jetzigen Form ist daher falsch.
Vielen Dank.